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Unumstrittener Boss im gelben Bollwerk (MM)

Die Abwehr um Oliver Roggisch soll wieder der Erfolgsgarant werden – allerdings fehlt der DHB-Kapitän zum Saisonauftakt

MANNHEIM. Die mehrstündige Busreise zum Turnier in Ilsenburg – Oliver Roggisch trat sie mit an. Obwohl er nicht auf der Platte stehen konnte. Eine Fraktur des Speichenköpfchens im linken Ellenbogen zwang ihn in die Zuschauerrolle, trotzdem wollte der Blondschopf am vergangenen Wochenende dabei sein. „Ich bin gerne mit den Jungs unterwegs. Und wenn man auf der Bank sitzt, sieht man das eine oder andere, was die Mannschaft noch verbessern kann“, schaute der Nationalspieler ganz genau hin, damit er sich bald wieder nahtlos in das badische Ensemble einfügen kann.

Beim Auftakt in Balingen wird der Defensivspezialist allerdings noch zuschauen, in der Deckung müssen dann andere seine Rolle einnehmen. Ausgerechnet er, der „Mr. Zuverlässig“ fehlt – was zu der Frage führt: Geht das gut, wenn der unumstrittene Boss am eigenen Kreis nicht auf der Platte steht? „Ich kann mit dem Wort Abwehrchef nicht viel anfangen. Letztendlich greifen wir als Mannschaft an und verteidigen im Kollektiv. Eine gute Defensive ist immer die Gesamtleistung des Teams“, will sich der 34-Jährige nicht zu wichtig nehmen und verweist auf die Alternativen im Kader des Handball-Bundesligisten, der sich gestern den Fans bei „engelhorn sports“ in Mannheim präsentierte: „Gedeón Guardiola hat im Januar eine überragende Leistung in der Abwehr der spanischen Weltmeistermannschaft gezeigt, mit Nikola Manojlovic haben wir einen weiteren guten Defensivspieler dazubekommen. Bjarte Myrhol ist ja auch noch da. Die Jungs werden das schon hinbekommen.“

Und doch fehlt mit ihm zum Saisonstart der wichtigste Stein in der gelben Wand. Er gibt normalerweise die Kommandos und hält den Laden zusammen – so wie in der vergangenen Runde, als das badische Bollwerk zum Prunkstück des EHF-Pokalsiegers wurde. Selten erzielte ein Gegner mehr als 30 Treffer gegen die Löwen, die in der Bundesliga die wenigsten Gegentore (965) aller Mannschaften kassierten. Wer ein Haus baut, der sollte es eben auf einem soliden Fundament errichten – und genau das taten die Gelbhemden.

5:1-Formation als Alternative

„Wir müssen uns weiterentwickeln. Die anderen Teams wissen nun, was wir spielen. Aus diesem Grund brauchen wir Alternativen in unserem Deckungssystem“, unterstreicht Roggisch, dass sich die Löwen nicht auf ihrer Stärke ausruhen dürfen. Und deswegen kam in der Saisonvorbereitung immer häufiger die 5:1-Formation mit Uwe Gensheimer oder Stefán Sigurmannsson auf der Spitze zum Einsatz.

„Es gibt einen Trend zu offensiveren Varianten. In der Nationalmannschaft spielen wir keine klassische 6:0-Formation mehr, sondern das geht fast in eine 5:1-Deckung über. So agieren wir auch bei den Löwen“, sagt der 2,02-Meter-Hüne und verweist auf den amtierenden Weltmeister als Trendsetter in puncto Defensivarbeit: „Die Spanier haben bei dieser WM neue Maßstäbe gesetzt und ihre Abwehr perfektioniert. Sie verteidigten extrem aggressiv und offensiv, kamen auf diese Weise zu vielen Ballgewinnen – und dann ging die Post ab.“

All das erinnert stark an die Löwen, bei denen Roggisch zuletzt als Fels in der Brandung bärenstarke Leistungen zeigte. Die Qualifikation für die Champions League, der Triumph im EHF-Pokal – alles war angerichtet für einen traumhaften Urlaub in Südafrika nach der anstrengenden Runde. Doch dann folgte kurz vor dem Abflug noch das Aus mit der Nationalmannschaft in der EM-Qualifikation. „Es war nicht so einfach, das aus dem Kopf zu bekommen. Es blieb ein fader Beigeschmack nach einem eigentlich tollen Jahr“, räumt der Kapitän der DHB-Auswahl ein. Aber nun blickt das Kraftpaket bereits wieder in die Zukunft. Sein Ziel hat er klar vor Augen: das Heimspiel gegen Wetzlar am 1. September.

Von Marc Stevermüer