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Viel Kampf, aber wenig Leichtigkeit (MM)

Rhein-Neckar Löwen zeigen in Lemgo einmal mehr Charakter – die Dominanz aus der Hinrunde ist aber vorbei

MANNHEIM. Oliver Roggisch sah erschöpft aus, der Schweiß floss. Und die Anspannung war auch noch nicht aus seinem Körper gewichen. Gerade erst war die Handball-Bundesliga-Partie der Rhein-Neckar Löwen beim TBV Lemgo mit einem 27:27 zu Ende gegangen, als der Abwehrchef Klartext sprach. Natürlich freute er sich über den glücklichen Punktgewinn dank Andy Schmids Treffer in der Schlusssekunde, doch der Blondschopf sah vor allem das große Ganze. Der Auftritt der Badener in Ostwestfalen hatte ihm überhaupt nicht gefallen. „Wir sind über den Kampf zurückgekommen, das ist das einzig Positive. Aber wir präsentieren uns nicht mehr wie in der Hinrunde. Jeder zeigt zehn Prozent weniger. Das müssen wir schnell korrigieren“, sagte Roggisch. Auch er weiß: Seit der WM-Pause haben die Löwen in fünf Bundesligaspielen vier Minuspunkte kassiert.

Es hätten auch gut und gerne fünf „Miese“ sein können, denn in Lemgo glaubte nach dem 17:23 (47.) niemand mehr an den Punktgewinn. Zu viele Schwächen offenbarten die Löwen, die im Angriff einmal mehr viel zu behäbig und ausrechenbar agierten. Zarko Sesum fiel nach seiner Gala gegen Kolding in alte Verhaltensmuster zurück, agierte ohne Druck auf die Abwehr und spielte meistens nur quer. Auch Alexander Petersson brauchte lange, um in Fahrt zu kommen – mit fünf Treffern nach der Pause meldete er sich aber eindrucksvoll zurück. Auf die Dauer wird das allerdings nicht reichen. Der Hochgeschwindigkeits-Handball aus der Hinrunde ist passé, das beliebte Anspiel an den Kreis auf Bjarte Myrhol längst jedem Gegner bekannt. Der Löwen-Erfolgscode – er wurde zumindest teilweise entschlüsselt, was zum Teil auch im enormen Kräfteverschleiß und dem dünnen Kader begründet ist.

Und wenn dann noch das Prunkstück, die Abwehr, schwächelt, wird es eng. „Wir haben außergewöhnliche Tore bekommen“, meinte Trainer Gudmundur Gudmundsson mit Blick auf die immensen Probleme im Deckungszentrum, immer wieder kam der TBV über den Kreis zu Treffern oder Siebenmetern. So wurde es auch für die Torhüter schwer, Goran Stojanovic und Niklas Landin kamen in Lemgo zusammen lediglich auf acht Paraden. Keine Frage: Auch die beiden Schlussmänner zeigten in dieser Saison schon deutlich bessere Leistungen. „Zu langsam im Angriff, Probleme in der Abwehr, keine gute Torhüterleistung – das ist eine gefährliche Mischung“, fasste Gudmundsson zusammen: „Wir lagen sechs Tore hinten. Es war eigentlich unmöglich, einen Punkt mitzunehmen.“

Taten die Löwen aber doch. Und warum? Weil sie Charakter zeigten, einen großen Kampf boten und einzelne Spieler sich selbst aus dem Schlamassel zogen. Der in der ersten Halbzeit ausgewechselte Landin kehrte in der Schlussphase zurück, zeigte drei Paraden. Petersson verdrängte seinen durchwachsenen Start – und Stefan Rafn Sigurmannsson zeigte sich erneut als „Mr. Cool“. Lange Zeit war ihm nichts gelungen, dann traf er zweimal. Und nicht zuletzt kam auch das Glück dazu. „Von 100 Versuchen geht dieser Wurf einmal rein“, räumte Schmid ein.

Außerdem stellte Gudmundsson in der Schlussphase die Abwehr um. Wenn es schon kaum personelle Alternativen gab, dann zumindest eine taktische Veränderung. Aus der 6:0-Formation wurde eine 5:1-Variante, der vorgezogene Patrick Groetzki erzwang einige Lemgoer Ballverluste. „Das hat er ganz stark gemacht“, lobte Gudmundsson den Rechtsaußen, der mit sieben Treffern einer der wenigen Lichtblicke war und sein Tief wohl überwunden hat: „Er ist wieder der Alte.“ Es bleibt aus Löwen-Sicht die Hoffnung, dass jetzt auch die anderen ihre Form wiederfinden.

Von Marc Stevermüer