Veröffentlichung:

Wenn die Köpfe hängen

Mannheim. Sie kamen nacheinander, in Reih und Glied. Die Handballer von HB Montpellier schienen es eilig zu haben am Sonntagabend, dem Abend, an dem sie die Höhle der Löwen mit 29:27 (9:12) gestürmt hatten. Es war ein geordneter Rückzug. Ohne Siegerlächeln, mit kleinen, aber deutlich sichtbaren Sorgenfalten. Manche fluchten sogar auf der Flucht, auf dem Weg in Richtung Arenabauch. Vor allem ein Wort klang immer wieder durch, klar und deutlich. Es besteht aus fünf Buchstaben, beginnt mit einem „M“ und endet mit einem „E“: Merde. Auf Deutsch: Verdammt, verflucht, oder kurz und schmerzlos: Sch… .

Um eines klar zu stellen: Nikola Karabatic kam dieses Wort nicht über die Lippen. Der Weltstar drückte sich gewählter aus, gab druckreifes von sich: „Ein Zwei-Tore-Vorsprung ist schön, jedoch keine Vorentscheidung“, holte er tief Luft, wischte sich den Schweiß von der Stirn und schob schnaubend nach: „Leider haben wir zum Schluss ein paar unnötige Fehlwürfe produziert.“

Und Karabatic erzählte noch mehr. Wichtiges und Unwichtiges. Von der Auswärtsstärke der Löwen, von der eigenen dünnen Personaldecke, vom Handball an sich. Die Mixed Zone war sein Reich. Ein ganzer Pulk von Journalisten belagerte den Mann mit dem charismatischen Drei-Tage-Bart.

Seine Aussagen sind begehrt. So begehrt, dass einer wie Thorsten Storm schier unbemerkt in die Katakomben schlendern konnte. Doch wer ihn sah, dem fiel insbesondere eines auf: sein Grinsen. Der Manager der Löwen lächelte in sich hinein. Hallo? Man hatte so eben verloren. Klar, eswar knapp. Aber verloren ist verloren. Demnach war es wohl eher ein gequältes Grinsen, sprich eine gute Miene zum bösen Spiel!? Klingt plausibel, ist aber falsch. Eswar echt, kein Fake, eine Art Pokerface. Storm am Tag danach: „ Ich habe schon ans Rückspiel gedacht. Montpellier ist nun der Favorit, zwei Tore sind jedoch schwer zu verteidigen: Wir können nur noch angreifen.“ Und: „Dort wird die Entscheidung fallen.“

Aha, der Manager hat also schon einen Plan B? Nicht ganz: „Jeder Einzelne von uns muss einfach 60 Minuten besser sein als sein Gegenüber. Denn eines ist nicht wegzudiskutieren: Montpellier war stark, doch geschlagen haben wir uns nach der Pause selbst.“ Stimmt: 20 Gegentore und 14 technische Fehler sind auf diesem Niveau zu viel. Nicht jeder war diesmal da, wo er zuletzt war. Olafur Stefansson zum Beispiel. Der Isländer, der gerade in so einem Spiel den Unterschied ausmachen kann, konnte sein Potenzial nicht abrufen. Genau wie Karol Bielecki. Zwei Sorgenkinder, die es Montpellier leicht gemacht haben. Doch auch der Rest wirkte gehemmt. Storm hat’s registriert, sagt: „In der zweiten Halbzeit gingen plötzlich die Köpfe runter. Ich frage mich weshalb? Es ist doch klar, dass es nicht immer sowie gegen Flensburg laufen kann.“

Versteckte Kritik, gleichzeitig aber auch schon ein wenig taktische Kriegsführung für das Rückspiel am kommenden Samstag. Storm packt seine Jungs bei der Ehre. Schwört sie ein, stellt sie auf einen offenen Schlagabtausch an der Mittelmeerküste ein: „Das wird eine Schlacht. Jeder von uns muss dort das Blut in seiner Nase riechen.“

Angst hat der Manager nicht. Er vertraut auf Gudmundur Gudmundsson, den Trainer der Löwen, den kleinen Feldherrn an der Seitenlinie. Dem fällt immer etwas ein. Wahrscheinlich hat er den Masterplan längst ausgetüftelt. Schon am Sonntagabend schien er über ihm zu brüten. Hochkonzentriert saß er oben im Business-Club, im zweiten Stock der SAP Arena. Alleine an einem Tisch für zwei. Der Blick leer, die Beine überkreuzt. Gegessen hat er nur wenig, das Nötigste eben. Der Hunger hielt sich sichtlich in Grenzen, die 27:29-Pleite schlug ihm auf den Magen. Schuld ist der Erfolgshunger. Und der soll in Montpellier wieder gestillt werden.

Von Daniel Hund

 26.04.2011