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Wilde Jungs wollen Löwen zähmen

Am Sonntag um 16 Uhr steigt das schwäbisch-nordbadische Derby beim TVB Stuttgart

Wilde Jungs wollen Löwen zähmen: Am Sonntag um 16 Uhr steigt das schwäbisch-nordbadische HBL-Derby zwischen dem TVB Stuttgart und den RNL.
Alexander Schulze kommt nicht an Andreas Palicka vorbei.

„Am Sonntagnachmittag ist ab 16.00 Uhr in der Stuttgarter Porsche-Arena die Manege frei. Dann will Löwen-Dompteur Jürgen Schweikardt mit seinen WILD BOYS die Rhein-Neckar Löwen zähmen. Aber das wird gar nicht so einfach, stellt doch die in Mannheim ansässige Spielgemeinschaft der beiden Handballvereine aus den nordbadischen Orten Kronau und Östringen schon seit vielen Jahren eine europäische Top-Mannschaft.“ Im digitalen Hallenheft des TVB Stuttgart stimmt man sich wortgewaltig auf das Derby mit den Rhein-Neckar Löwen ein. Die Botschaft ist klar: So leicht wie im Hinspiel soll es dem Favoriten im badisch-schwäbischen Schlagabtausch nicht noch einmal gemacht werden.

Es war der 4. Oktober, der 1. Spieltag der LIQUI MOLY HBL. Beide Teams brannten nach langer Pflichtspiel-Pause auf den Neustart. Doch nur den Löwen gelang es, diese Vorfreude in erfolgreichen Handball zu kanalisieren. Ein 5:0-Lauf nach dem 2:2 zum Auftakt brachte die Hausherren schnell und deutlich nach vorne. Zu viele Fehler leisteten sich die Gäste. Spätestens zur Pause mit dem 17:9 für die RNL war die Partie so gut wie entschieden. Am Ende stand ein richtig klares 30:20 auf dem großen Video-Würfel in der SAP Arena. Ein Kantersieg, der bei den ehrgeizigen Schwaben mächtig Eindruck hinterlassen hat.

Wilde Jungs wollen Löwen zähmen: „Da haben wir noch etwas gutzumachen“

„Da haben wir noch etwas gutzumachen“, sagt TVB-Trainer Jürgen Schweikardt zur Ausgangslage. Schließlich spielen die „wilden Jungs“ aus dem Ländle trotz zwischenzeitlichen Einbruchs die erfolgreichste Bundesliga-Saison seit dem Aufstieg 2015. 24 HBL-Punkte hatten sie noch nie auf dem Konto. Entsprechend gewachsen ist das Selbstvertrauen, aber auch der Anspruch an sich selbst. Zehnmal trafen Löwen und Wild Boys bisher in der Bundesliga aufeinander. Zehnmal gingen die Punkte nach Mannheim. Im elften Anlauf soll jetzt die Zähmung gelingen aus Stuttgart-Sicht. Wenn, dann scheint das in dieser verrückten Corona-Spielzeit möglich.

Wilde Jungs wollen Löwen zähmen: Am Sonntag um 16 Uhr steigt das schwäbisch-nordbadische HBL-Derby zwischen dem TVB Stuttgart und den RNL.
Andreas Palicka mit Höchststrafe: einem gefangenen Wurf.

Mit was für einer Saison wir es zu tun haben, verdeutlicht ein Blick auf die Löwen-Aufstellung vom Hinspiel. Uwe Gensheimer, Romain Lagarde und Ilija Abutovic fehlen dieses Mal verletzungsbedingt. Rafael Baena und Alexander Petersson – damals für 8 der 30 Löwen-Tore zuständig – haben den Verein zwischenzeitlich verlassen. Jesper Nielsen, der schon damals nicht dabei war, fehlt mittlerweile mit einer neuen Verletzung. Jannik Kohlbacher hat es hingegen wieder zurückgeschafft in den Kader. Und Nikolas Katsigiannis, die aktuelle Nummer zwei im Tor, hielt sich damals noch privat fit und hatte wohl keine Ahnung davon, dass er schon bald einen Saisonvertrag beim zweifachen Deutschen Meister unterschreiben würde.

Es ist schon irre, wie die Pandemie mit all ihren Spielplan-Konsequenzen durch diese HBL-Saison wirbelt. In Stuttgart waren unter anderem Torwart-Legende Jogi Bitter und Coach Schweikardt in Corona-Quarantäne. Aktuell fehlt Bitter verletzt. Der Rest der Truppe fährt – ähnlich wie die Löwen – in Achterbahn-Form durch die Hallen und Arenen. Beim 28:33 in Kiel zeigten sich die Schwaben lange auf Augenhöhe, hatten danach zuhause beim 24:31 gegen Wetzlar so gar keine Chance. Ein Tiefpunkt folgte beim 24:28 in Ludwigshafen – und ein absoluter Höhepunkt mit dem 28:26-Derby-Sieg gegen die bärenstarken Göppinger. Am Donnerstag nun gab es ein 27:27 in Minden, bei dem man in den letzten Sekunden einen sicher geglaubten Sieg wegwarf, nachdem man über weite Strecken des Spiels hinten gelegen hatte.

Wilde Jungs wollen Löwen zähmen: „Wir wollen in jedem Spiel bis zuletzt die Chance haben, es zu gewinnen“

Wilde Jungs wollen Löwen zähmen: Am Sonntag um 16 Uhr steigt das schwäbisch-nordbadische HBL-Derby zwischen dem TVB Stuttgart und den RNL.
Ymir Örn Gislason stoppt Stuttgarts Jerome Müller.

Was die Stuttgarter allein in diesen letzten vier Wochen erlebt haben, deckt das komplette Gefühlsspektrum einer Sportmannschaft ab. Nun also das Duell mit den Löwen. Keine 100 Kilometer Luftlinie liegen zwischen Schwaben- und Nordbaden-Metropole. Da ist der Abstand in der Tabelle mit 18 Punkten schon wesentlich größer. Ähnlich wie die Ansprüche: Während die Mannheimer mit aller Macht Platz drei haben wollen, mindestens aber einen Rang, der für die Teilnahme an der Euro League 2021/22 berechtigt, geht es für den TVB darum, die Rekord-Saison weiter zu veredeln. Und wie schön würde sich da der erste Bundesliga-Triumph über den großen Nachbarn machen?!

Für die Löwen kommt das gar nicht infrage. Auch wenn das Trainer-Duo Martin Schwalb und Klaus Gärtner weiterhin auf das verletzte Quintett Appelgren, Abutovic, Gensheimer, Nielsen, Lagarde verzichten muss, bleibt das Ziel dasselbe: „Wir wollen in jedem Spiel bis zuletzt die Chance haben, es zu gewinnen“, hatte Schwalbe bereits vor dem ersten Treffen mit dem TVB gesagt und damit den eigenen Anspruch von Saisonbeginn an klar formuliert. So soll es auch am Sonntag sein – wenngleich allen klar ist: Gegen die wilden Jungs und ihren Löwen-Dompteur wird es eine ganz andere Leistung brauchen als in den letzten 20 Minuten zuhause gegen Berlin.