Veröffentlichung:

„Wir müssen die Situation für uns nutzen“

Snorri Guðjónsson vor dem Spitzenspiel gegen den THW Kiel

Vor etwas mehr als einer Woche riss Snorri Guðjónsson die Arme in der Wiener Stadthalle nach oben. Mit der isländischen Nationalmannschaft hatte der Spielmacher gerade das Spiel um den dritten Platz bei der Europameisterschaft gegen Polen gewonnen und seinem kleinen Land damit die zweite Medaille nach Silber bei den Olympischen Spielen 2008 beschert. Der Jubel über EM-Bronze war groß und wurde von Guðjónsson sowie seinen Teamkollegen Ólafur Stefánsson und Guðjón Valur Sigurðsson entsprechend gefeiert. Doch inzwischen ist das kontinentale Kräftemessen von den anstehenden Aufgaben in den Hintergrund gerückt worden, jetzt geht es für Guðjónsson darum, mit den Löwen gut aus den Startlöchern zu kommen. Wie er den THW Kiel schlagen will, verrät der 28-Jährige im Interview.

Herr Guðjónsson, die Europameisterschaft ist gerade zehn Tage vorbei. Wie schwer fällt es, jetzt schon wieder mit voller Kraft für die Löwen im Einsatz zu sein?

Die EM ist jetzt schon Geschichte. Das muss man schnell abhaken. Man muss nach einer solchen Veranstaltung schnell zurück in den Alltag eintauchen. Aber das war ja nicht mein erstes großes Turnier, deshalb kenne ich die Situation ja schon ein wenig.

Island hat die Bronzemedaille gewonnen. Wie beurteilen Sie das Turnier rückblickend?

Wir haben nach der Silbermedaille bei den Olympischen Spielen in Peking zum zweiten Mal Edelmetall für unser Land geholt. Insgesamt haben wir nur ein Spiel verloren, und das war gegen Frankreich, die derzeit beste Mannschaft der Welt. Wir haben bei der EM bewiesen, dass wir kein „One-Hit-Wonder“ sind, das war uns allen wichtig. Es ist schon etwas Besonderes, bei einer EM so weit oben zu stehen, denn es ist wohl das härteste Turnier überhaupt, weil man nur gegen starke Teams spielt.

Wie beurteilen Sie Ihre eigene Leistung?

Das sollen besser andere beurteilen. Ich habe den Erfolg der Mannschaft über meine eigene Leistung gestellt. Ich habe viele Spielanteile bekommen und wir waren erfolgreich, also kann ich zufrieden sein.

Hilft es Ihnen, die Anstrengungen zu vergessen, weil Sie mit einer Medaille nach Hause gekommen sind?

Ich glaube schon, dass es etwas einfacher ist. Aber insgesamt ist es unser Beruf und es gehört eben dazu, nach einem Turnier im Januar direkt wieder mit den Vereinen vor großen Aufgaben zu stehen. Man muss einfach weiter trainieren, um in Form zu bleiben. Wir sind Profis und müssen damit klar kommen und ich glaube, dass ich das gut hinbekommen habe.

Wie haben Sie Ihren Kopf so schnell frei bekommen?

Wir bekamen zum Glück ein paar Tage frei und mussten erst Mittwochabend wieder mit der Mannschaft trainieren. Ich bin von Wien aus direkt nach Island geflogen, wo ich zum ersten Mal seit langer Zeit meinen kleinen Sohn wiedersehen konnte. Das war für mich die größte Entspannung, denn ich hatte ihn drei Wochen lang nicht bei mir gehabt. In dieser Zeit hat er sich weiterentwickelt, er spricht jetzt viel mehr. Es war schön, wieder bei ihm zu sein. Dienstagabend bin ich zurück nach Deutschland gekommen.

Wie war es, die Teamkollegen der Löwen nach langer Zeit wiederzutreffen?

Es war schön. Wir hatten in den vergangenen Tagen viel Spaß. Wir waren gemeinsam in der Sauna und haben viel gelacht. Ich glaube, eine gute Stimmung ist wichtig, wenn man zusammen etwas erreichen will.

Woran machen Sie die gute Stimmung im Team fest?

Wir haben viel Spaß, wenn wir zusammen sind. In den zurückliegenden Tagen haben wir viel Fußball gespielt. Immer Alt gegen Jung, wobei beide Mannschaften mal ein Spiel gewonnen haben. Ich habe von „Goggi“ Sigurðsson einen neuen Spitznamen bekommen. Ich heiße jetzt Ballack, weil ich der beste Fußballer bei uns bin.

Gehören Sie zum Team Alt oder zum Team Jung?

Ich gehöre inzwischen schon zum Team Alt. Wir spielen mit viel Erfahrung und Köpfchen. Deshalb heiße ich ja auch Ballack.

Worauf kommt es besonders an, wenn man nach vielen Wochen in der Nationalmannschaft wieder zum Verein zurückkehrt?

Es ist entscheidend, dass man das richtige Timing wieder findet. Wir haben tolle Spieler mit außergewöhnlichen Fähigkeiten, aber nach einer solchen Phase ist es wichtig, dass die Abläufe wieder passend gemacht werden. Deshalb haben wir in den ersten Trainingseinheiten auch sehr viel daran gearbeitet. Außerdem standen taktische Dinge im Vordergrund.

Sie sind Spielmacher. Ist es für Sie sehr schwer, sich von den Spielzügen, die Sie bei der isländischen Nationalmannschaft nutzen, auf das Spielsystem der Löwen umzustellen?

Natürlich muss man sehr konzentriert sein, denn einige Varianten sind schon anders. Andererseits sind die Angriffszüge zum Teil identisch. Man muss sich eben auf die neuen Mitspieler einstellen, sich die anderen Laufwege der Kollegen wieder neu einprägen.

Jetzt stehen die Löwen vor entscheidenden Wochen mit Duellen gegen starke Gegner. Ist es ein Problem, dass ausgerechnet vor diesen Partien die EM lag?

Es ist nicht einfach, aber die anderen Teams haben ja auch Nationalspieler. Die stehen vor denselben Problemen. Bei uns darf es eben nicht zu lange dauern, bis wir wieder unsere ideale Abstimmung gefunden haben. In den ersten Tagen, in denen wir wieder zusammen waren, hat das ganz gut geklappt, deshalb bin ich zuversichtlich, dass wir gut aus der EM-Pause kommen.

In der Bundesliga steht erst das Duell gegen den THW Kiel an, anschließend geht es zum HSV Hamburg. Ein happiger Auftakt, oder?

Natürlich sind das schwierige Aufgaben, aber das ist jetzt eben so. Den Spielplan können wir nicht ändern und vielleicht ist es ganz gut, jetzt gegen die Topteams zu spielen, weil sie ebenfalls viele Akteure für die Nationalmannschaften abstellen mussten. Wir müssen die Situation eben für uns nutzen.

In der SAP ARENA ist jetzt der THW zu Gast. Was erwarten Sie von der Begegnung?

Der THW Kiel gehört zu den besten Mannschaften der Welt. Sie sind Favorit in der Meisterschaft und in der Champions League. Viel mehr muss man dazu wohl nicht sagen. Man braucht in jedem Fall eine Superleistung in allen Bereichen, um den THW schlagen zu können. Nur eine gute Abwehr reicht nicht, oder nur eine starke Leistung im Angriff. Wir müssen in der Deckung gut arbeiten und unseren Torhütern helfen und außerdem sehr konzentriert sein. Dann haben wir eine Chance. Wir dürfen aber auch nicht vergessen, dass wir selbst eine tolle Truppe haben und wir spielen vor den eigenen Fans. Wir haben eine gute Möglichkeit, Kiel zu schlagen, wenn wir eine Topleistung zeigen.

Immerhin haben die Löwen den Heimvorteil für sich.

Ja, das ist ein großer Vorteil für uns. Die SAP ARENA wird ausverkauft sein, 13.000 Menschen werden uns den Rücken stärken und das wollen wir nutzen. Es ist ein tolles Gefühl, wenn so viele Leute hinter einem stehen. Wenn uns die Zuschauer unterstützen, können wir den THW schlagen.

Sind Sie vor einem Spiel gegen eine absolute Topmannschaft nervöser als sonst?

Nein, das hat nichts mit Nervosität zu tun. Es ist eher eine besondere Freude, die automatisch kommt, wenn man sich mit solchen Teams messen kann. Wenn man in die SAP ARENA einläuft, bekommt man eine Gänsehaut. Für solche Spiele trainiert man schließlich das ganze Jahr über. In diesen Partien steht man gerne auf dem Feld und ich bin überzeugt, dass wir gegen Kiel gewinnen können. Denn  wir haben auch eine tolle Mannschaft, die zeigen will, was in ihr steckt.