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Zebras lassen Löwen keine Chance (KN)

Das Rennen um den Titel in der Handball-Bundesliga ist wieder offen. Am Mittwochabend setzte sich Rekordmeister THW Kiel in einer mitreißenden Demonstration eigener Stärke gegen die bis dato nahezu unbezwingbaren Rhein-Neckar Löwen mit 31:20 (12:9) durch.

Bescherung am Vorabend des Weihnachtsfestes: Bei den Zebras liegen nicht irgendwelche Punkte unter dem Baum. Es sind zwei Punkte gegen den Tabellenführer – und als lametta-glitzernde Verpackung auch gleich die Renaissance der verloren geglaubten Kieler Sieger-DNA. Beschenkt wird nicht mit feinschmeckender Raffinesse, sondern zuallererst mit solidem, mit aggressivem Handwerk. Mit einer 6:0-Formation stemmen sich die Zebras dem erst ein einziges Mal in der Liga geschlagenen Gegner in den Weg, den Kapitän René Toft Hansen und Erlend Mamelund in der Mitte versperren. Nicht auf dem Feld: der angeschlagene Domagoj Duvnjak, nach zehn Minuten bleibt auch Toft Hansen zunächst draußen, später gesellt sich der vor der Begegnung umgeknickte Rune Dahmke hinzu. Der Abend nimmt einen kuriosen Verlauf.

THW-Trainer Alfred Gislason stellt die Deckung kompakt ein, die Kieler lassen Löwen-Regisseur Andy Schmid überraschend viele Freiräume, schließen spät alle Lücken, unterbinden das Spiel über den Kreis, verschieben nach außen. „Wir wollten so den Rückraum zu Würfen zwingen. Das hat gut geklappt“, sagt Gislason. Den Rest erledigt Niklas Landin im Tor, der 50 Prozent aller Bälle pulverisiert. Im Angriff ersetzt Joan Canellas den gehandicapten Duvnjak, tritt endgültig aus der diffusen Grauzone seiner letzten Wochen. Der Spanier wird zum überragenden „Schattenmann“, als Gestalter, als bester Schütze. Es ist sein Spiel. Es ist sein Verdienst, dass die Löwen in Kiel untergehen werden.

Denn nach der Pause wird aus Handwerk Rausch, aus einer hart erkämpften spielerischen und individuellen Überlegenheit eine Demontage. Den Mannheimern fehlt Präzision, und mit ihr geht der Mut verloren. Den Zebras fehlt nicht einmal Domagoj Duvnjak, der nur für Kurzeinsätze auf das Feld kommt. Denn sie haben Canellas, sie haben Christian Dissinger, der jeden Fehlwurf cool abschüttelt, achtmal trifft. Sie haben berauschende Pässe Landins auf Geburtstagskind Niclas Ekberg (27), haben Dragos Oprea, der zum Abschied auf Linksaußen gebraucht wird. Sie haben den unglaublich wertvollen Erlend Mamelund neben Canellas im Mittelblock. Ein effektiver Deckungs-Dirigent.

Die Löwen suchen den Weg zu Rafael Baena am Kreis und finden fremde Hände. „Das war eine Lehrstunde“, sagt Löwen-Trainer Nikolaj Jacobsen nach dem Spiel. Eine Lehrstunde, die in der 44. Minute zur Deklassierung wird, als René Toft Hansen gegen den konsternierten Andy Schmid nach einem Ball hechtet, Ekberg zum 20:13 davoneilt. Später trifft Dissinger zum 29:17 ins leere Tor (54.). Er trifft den Kontrahenten, der seinen Rechtsaußen Patrick Groetzki verletzt verliert, mitten ins Herz. „Ich hatte gehofft, die Löwen irgendwie zu schlagen“, sagt Alfred Gislason. „Aber so? Ich bin ziemlich sprachlos.“ Fast so wie Domagoj Duvnjak, der es an der Seitenlinie kaum glauben kann. „Was soll ich sagen? Ich bin einfach nur stolz auf die Mannschaft.“

Von Tamo Schwarz