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Zehn Rhein-Neckar Löwen jagen in den Alpen
Heidelberg. Die Reisegruppe ist groß, besteht aus zehn Rhein-Neckar Löwen. Ihr Ziel ist Österreich, das Wintersportparadies: Verschneite Pisten, malerische Langlauf-Loipen, Germknödel in allerlei Variationen. Hört sich nach jeder Menge Spaß an. Doch das täuscht. Die Gaudi wird sich nämlich in Grenzen halten. In der Alpenrepublik ist Schwerstarbeit gefragt, quälen angesagt: Denn nur so kann man bei der morgen beginnenden Handball-Europameisterschaft (19. bis 31. Januar) in der Alpenrepublik etwas reißen, kann ihr den Stempel aufdrücken.
Die Terminhatz sucht wieder einmal ihresgleichen: Beinahe täglich wird gepasst und gedribbelt, geworfen und pariert. Kent-Harry Andersson, 60, lässt sich das nicht entgehen. Der sportliche Berater der Rhein-Neckar Löwen, der Handball-Fuchs mit den schwedischen Wurzeln, ist ab Mittwoch mittendrin statt nur dabei. Er fiebert von der Tribüne aus mit, will seine Gelbhemden anfeuern. Aber das ist nicht die einzige Mission. Talente suchen und finden – das hat er sich vorgenommen. Aufkreuzen wird er deshalb vor allem in Graz. Dort duelliert sich die Gruppe A, die ganz oben auf dem Spickzettel diverser Scouts steht.
„Mit den Norwegern und den Ukrainern spielen hier zwei Mannschaften mit relativ unbekannten Spielern. Da kannst du durchaus jemanden entdecken.“ Andersson schmunzelt, als er das sagt. Hat er etwa schon ein ganz bestimmtes Ass im Auge? Andersson schmunzelt wieder, fühlt sich falsch verstanden: „Nein, nein, so ist das nicht“, beteuert er, „ich lasse mich überraschen.“ Apropos Überraschungen, in Sachen der Thronfrage setzt er auf etablierte Teams, auf Teams, die viele auf der Rechnung haben: Andersson meint, dass gerade die Franzosen, der Weltmeister von 2009, und Titelverteidiger Dänemark wieder ihr Eintrittsgeld wert sein werden. Für Andersson sind sie das Nonplusultra, flößen ihm Respekt ein: „Beide werden im Endspiel stehen, da bin ich mir relativ sicher“, prognostiziert der Fachmann.
Trifft er mit seiner Analyse ins Schwarze, so fände das Finale ohne Löwen-Beteiligung statt. Einen bleibenden Eindruck wird so manches Rudelmitglied aber dennoch hinterlassen. Andersson tippt diesbezüglich insbesondere auf die kurpfälzische Isländer-Fraktion: Gudjon Valur Sigurdsson, Snorri Gudjonsson und Olafur Stefansson traut er viel zu: „Sie spielen schon lange zusammen, sind eine verschworene Einheit.“
Dem „Polska-Block“ um „Kasa“ Szmal und Karol Bielecki wünscht er ein gutes Turnier, glaubt aber nicht daran. Das Hauptproblem sei die Torhüter-Situation beim Vize-Weltmeister von 2007, sagt er: „Nach Kasa kommt nichts. Trainer Bogdan Wenta fehlen hier die Alternativen.“ Stimmt: Was, wenn es bei Szmal mal nicht so läuft, was, wenn er sich verletzt?
Ein großes Fragezeichen steht auch hinter der deutschen Auswahl. Viele Experten sprechen vom Halbfinale, andere malen gar den Teufel an die Wand, befürchten einen Totalschaden, den Vorrunden-K.o. Andersson zählt zu den Skeptikern: „Deutschland ist dieses Mal nicht so stark. Wenn man die Vorrunde übersteht, sollte man zufrieden sein – leider!“ Oliver Roggisch, Uwe Gensheimer und Michael Müller, die Löwen in der Brand-Sieben, beurteilen die Lage anders. Sie glauben an sich, wollen beißen, möchten es allen beweisen. „Gensel“ sowieso. Vom Wackelkandidat zum Leistungsträger, davon träumt er, darauf hofft er. Und das muss kein Traum bleiben. Für Andersson ist er ohnehin fast schon die Nummer eins auf der linken Außenbahn: „Der einzige Vorteil von Torsten Jansen ist doch noch, dass er auch als Halb-Verteidiger eingesetzt werden kann“, analysiert er.
Abgerundet wird die EM-Delegation der Kurpfälzer durch Bjarte Myrhol (Norwegen) und Carlos Prieto (Spanien). Und was macht der Rest des Rudels? Auf der faulen Haut liegt niemand. Henning Fritz und Co. halten sich beim Kooperationspartner in Friesenheim fit, klotzen im Kraftraum richtig ran. Denn unmittelbar nach der EM geht es wieder voll zur Sache. Der Februar ist ein ganz wichtiger Monat, ein „Schlüssel-Monat“ (Andersson): In Göppingen steigt das Viertelfinale im DHB-Pokal, in der Bundesliga geht’s unter anderem gegen Kiel sowie den HSV Hamburg und in der Champions League warten die Auswärtshürden Vive Kielce, Veszprém und Chambéry. Andersson wird nachdenklich: „Hoffentlich verletzt sich keiner in Österreich.“
Von Daniel Hund
18.01.2010