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Zwischen Kreißsaal und Kabine (MM)

Mannheim. Nach 26 Minuten kam das Signal von Gudmundur Gudmundsson. Der Trainer der Rhein-Neckar Löwen holte Zarko Sesum zu sich, schenkte ihm trotz fehlender Spielpraxis das Vertrauen – und legte mit dieser Maßnahme einen Bypass an das schwächelnde Löwen-Herz. Die offensive Deckung und das schnelle Umschalten von RK Gorenje Velenje machten dem Handball-Bundesligisten zu schaffen, das Aus im Viertelfinale des EHF-Cups, das Ende aller Titelträume drohte.

Nach 60 nervenaufreibenden, intensiven und dramatischen Minuten jubelten die Badener dann aber doch über einen 30:29-Sieg, zu dem Sesum seinen Teil beisteuerte. „Ich habe ihn gebracht, weil er gut gegen eine offensive Abwehrvariante spielen kann. Er war sofort voll da, hat mit seiner ersten Aktion ein Super-Tor gemacht“, freute sich Gudmundsson: „Außerdem kann Zarko in der Defensive spielen, weshalb ich mir einen Abwehr-Angriff-Wechsel sparen konnte. Gerade gegen Velenjes schnelle Mitte hat uns das geholfen. Er ist ein kompletter Spieler. Ich bin froh, ihn wieder dabei zu haben.“

Mit seinem Einsatz gegen die Slowenen und dem Halbfinaleinzug endete für den Rückraumspieler eine zweifelsohne denkwürdige Woche. Am Dienstag feierte er nach wochenlanger Verletzungspause ein 18-Sekunden-Comeback beim Derbyerfolg in Göppingen, am Freitag wurde der Serbe zum ersten Mal Vater, 24 Stunden später folgte ein knapp halbstündiger Einsatz im EHF-Cup. „Die Mannschaft hat mir mit dem Sieg das schönste Geschenk gemacht“, meinte Sesum nach den turbulenten Tagen.

60 Prozent Sehfähigkeit

Hier Vaterfreuden, dort Velenje: Der Rechtshänder übernahm Verantwortung als Papa und auf der Platte, pendelte zwischen Kreißsaal und Kabine. Doch er meisterte diesen Spagat mit Bravour – was wirklich jeden bei den Löwen freute. „Er ist ein wichtiger Spieler und ein richtig guter Junge“, sagte Manager Thorsten Storm, der gespannt auf die Auslosung am Dienstag schaut. Mögliche Halbfinalgegner seines Klubs sind Frisch Auf Göppingen, der SC Magdeburg und Dunkerque HB.

Im Januar war Sesum bei der EM durch einen Münzwurf schwer am rechten Auge verletzt worden, bei einer Operation wurde ihm eine neue Linse eingesetzt. „Ich bin sehr froh, endlich wieder auf dem Feld zu stehen. Das war etwas ganz Besonderes für mich, weil ich mich in den vergangenen Wochen nicht wie ein verletzter Spieler gefühlt habe“, berichtete der über das ganze Gesicht strahlende Rechtshänder.

Weder Muskeln noch Bänder zwickten, er hatte keine Schmerzen, brauchte keine Krücken. Der 25-Jährige konnte einfach nur nicht richtig sehen und durfte im Training nicht alle Übungen mitmachen. „Ein wenig fehlt mir die Fitness. Ich bin froh, dass ich eine halbe Stunde geschafft habe“, meinte der Serbe. Die Sehkraft auf dem operierten Auge beträgt momentan 60 Prozent, „daran muss ich mich noch ein bisschen gewöhnen“. Ob sich die Situation in Zukunft noch verbessern wird, vermögen die Ärzte nicht zu prognostizieren: „Das weiß niemand, ich muss mich in Geduld üben.“

Die verminderte Sehfähigkeit, räumte der wertvollste Spieler der Junioren-WM 2006 ein, bereite ihm ab und zu Probleme. „Aber wobei genau, das sage ich nicht. Sonst muss der Gegner nur Zeitung lesen und kann sich darauf einstellen“, sagte Sesum und grinste. In jedem Training absolviert er spezielle Übungen, um das Auge zu schulen. Er geht diese Herausforderung mit Mut und einem Schuss Enthusiasmus an. Die Verletzung hat, so viel steht fest, seine optimistische Grundhaltung nicht beeinflusst. Die Geburt seiner Tochter Lena gab ihm noch einmal einen Euphorieschub: „Nur wer einmal Vater geworden ist, kann dieses schöne Gefühl nachempfinden. Einfach großartig.“

Und deshalb war es auch nicht verwunderlich, dass es Sesum nach Spielende eilig hatte. Er wollte nach Hause, zu seiner Frau, zu seinem Kind. Doch schon am Dienstag (20.15 Uhr) wird er gegen die HSG Wetzlar wieder auf der Platte gefragt sein. Der Serbe ist bereit für diese Aufgabe – und hofft, bis dahin ausreichend Schlaf zu bekommen.

Von Marc Stevermüer