Veröffentlichung:

Historische Löwen, Teil 3: Goran Stojanovic und die Anfänge der goldenen Löwen-Generation

Serie legt Fokus auf Meilensteine der Vereinsgeschichte und erzählt diese aus der Perspektive beteiligter, aber nicht ganz so berühmter Löwen

Historische Löwen, Teil 3: Goran Stojanovic und die Anfänge der goldenen Löwen-Generation. Serie stellt Meilensteine der Klubgeschichte vor.
Goran Stojanovic im Gespräch mit Tomas Svensson und Niklas Landin.

Historische Löwen, Teil 3: In dieser Serie, deren Teile in unregelmäßigen Abständen auf der Website der Rhein-Neckar Löwen erscheinen, wollen wir tief in die Geschichte des Klubs eintauchen – und das auf eine besondere Weise. Wir greifen uns nicht die Personen heraus, die ohnehin im Fokus der Öffentlichkeit standen und stehen, sondern solche, die sich eher unter dem Radar bewegten und trotzdem – oder vielleicht auch gerade deswegen – einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung vom Dorfverein zum Spitzenklub geleistet haben. Es geht also genauso um historische Meilensteine wie um Randgeschichten, um Populäres und Abseitiges und letzten Endes um die Verbindung von Ereignissen und Personen, die mit dazu geführt haben, die Löwen zu dem zu machen, was sie heute sind.

In der dritten Ausgabe der „Historischen Löwen“ nehmen wir Goran Stojanovics Handball-Karriere unter die Lupe. Der einstige Weltklasse-Keeper spielte von 2011 bis 2014 bei den RNL und war mit dabei, als sich die goldene Löwen-Generation formierte. Eine spannende Zeit mit dramatischen Zügen – im Guten wie im Schlechten.

Historische Löwen, Teil 3: „Der größte Verlust meiner Karriere“

Historische Löwen, Teil 3: Goran Stojanovic und die Anfänge der goldenen Löwen-Generation. Serie stellt Meilensteine der Klubgeschichte vor.
Am Tag nach dem Meisterfrust: Stojanovic klatscht mit Oli Roggisch ab.

Uwe Gensheimer drohte an Ort und Stelle zusammenzubrechen. Der hinter ihm stehende Oliver Roggisch zog ihn wieder auf die Beine, warf ihm ein Handtuch über den Kopf, in das der gebürtige Mannheimer dicke Tränen der Trauer vergoss. Kurze Zeit später, als er sich einigermaßen gefangen hatte, stand Uwe beim Fernseh-Interview und versuchte, Worte zu finden für das, was da gerade geschehen war in der frisch gebauten Schwalbe-Arena zu Gummersbach.

„Ich bin einfach total leer“, sagte Uwe Gensheimer ins Mikrofon, schweißgebadet, mit glasigen Augen und hochrotem Kopf. Der damalige Löwen-Geschäftsführer Thorsten Storm gratulierte dem neuen deutschen Meister THW Kiel und lobte die starke Leistung des VfL Gummersbach, der beim 35:40 genügend Tore warf, um den Löwen den ersten großen nationalen Titel zu vermiesen. Weil im Parallelspiel Kiel die Füchse Berlin mit 37:23 deklassierte, zogen die Zebras auf der Zielgeraden an den Badenern vorbei. Am Ende lagen zwei Tore zwischen Kiel und Löwen, war das vielleicht tragischste Saisonfinale in der Geschichte der Handball-Bundesliga bittere Löwen-Realität.

„Das war der größte Verlust meiner Karriere.“ Denkt Goran Stojanovic zurück an diesen 24. Mai 2014, sind die Gefühle von damals direkt wieder da. In der 24. Minute schickte Löwen-Trainer Gudmundur Gudmundsson den 37-Jährigen für Stammkraft Niklas Landin zwischen die Pfosten. 18:14 stand es da für die Löwen. Die Diagnose: zu viele Gegentore! Wirklich etwas daran ändern konnte Goran Stojanovic nicht. Als er in Minute 50 wieder platzmachen musste für Landin, stand es 35:29 für Gelb. „Wir haben gekämpft bis aufs Letzte. Wir haben alles reingeworfen in dieses Spiel“, sagt Stojanovic, und bringt die Stimmung hinterher so auf den Punkt: „Das war einfach nur traurig. Die Heimreise, das war keine schöne Zeit. Es war sehr leise im Bus. Viele Spieler haben geweint.“

„Die Löwen sind der Verein meines Herzens“

Historische Löwen, Teil 3: Goran Stojanovic und die Anfänge der goldenen Löwen-Generation. Serie stellt Meilensteine der Klubgeschichte vor.
Siebenmeter-Killer Stojanovic in Aktion.

Heute, sieben Jahre nach dem Drama von Gummersbach, hat Goran Stojanovic die Handball-Schuhe an den Nagel gehängt. „Ich habe zwei Kinder – das ist jetzt mein Job“, sagt der 44-Jährige, der mittlerweile wieder in seiner Heimatstadt, dem montenegrinischen Bar, lebt. Von 2011 bis 2014 stand der Mann mit den markanten Gesichtszügen in Diensten der RNL. Davor, zwischen 2006 und 2011, hatte er – ironischerweise – beim VfL Gummersbach unter Vertrag gestanden. Trotz des Tiefschlags vom Mai 2014, kurz vor dem Ende seines Löwen-Engagements, schaut Stojanovic sehr gerne auf seine Zeit in Mannheim und Kronau zurück: „Die Löwen sind der Verein meines Herzens. Wir hatten eine gute Stimmung in der Mannschaft damals, und ich habe mich mit allen gut verstanden.“

Die Bilanz im Löwen-Trikot kann sich sehen lassen. In seiner ersten Saison 2011/12 kam Stojanovic auf sagenhafte 419 Paraden. 23 Siebenmeter-Paraden brachten ihm den Ruf eines Strafwurf-Killers ein. Jeder vierte Siebenmeter landete damals in den Fängen des Montenegriners. 2012/13 kam „der Mann aus den Bergen“, was Goran übersetzt bedeutet, auf 205 vereitelte Torwürfe, 13/14 noch auf 89. Beim Blick auf diese Zahlen wird deutlich: Nicht nur haben die Löwen für einen bleibenden Eindruck bei Goran Stojanovic gesorgt. Auch umgekehrt hat Goran Stojanovic bei den Rhein-Neckar Löwen seine Spuren hinterlassen. Genauso wie der 24. Mai in Gummersbach: „Ich bin überzeugt, dass damals der Grundstein für die späteren Erfolge gelegt worden ist“, sagt Stojanovic und erklärt: „Wir haben damals gelernt, dass Erfolge nicht einfach zu erreichen sind, dass man dafür hart arbeiten muss. Und zwei Jahre später hat es dann geklappt mit der ersten Meisterschaft.“

Im Bewusstsein, dass jedes Tor über Titel entscheiden kann, haben die Löwen nach diesem Mai 2014 eine spezielle Mentalität entwickelt. Von da an wollten sie nicht nur jedes Spiel gewinnen, sondern jeden Sieg so hoch wie möglich gestalten. Den Erfolg dieser Einstellung – 2016 gewannen die Löwen ihre erste deutsche Meisterschaft – erlebte Goran Stojanovic aus der Ferne, und freute sich mit seinen alten Kollegen, als wäre er selbst noch Teil der Mannschaft. Persönlich steckte er damals in seinem wohl größten Handball-Abenteuer, bereitete sich mit der Nationalmannschaft Katars auf die Teilnahme an den Olympischen Spielen von Rio im Sommer 2016 vor.

Historische Löwen, Teil 3: Abenteuer Katar

Historische Löwen, Teil 3: Goran Stojanovic und die Anfänge der goldenen Löwen-Generation. Serie stellt Meilensteine der Klubgeschichte vor.
Goran Stojanovic im Duell mit dem TV Großwallstadt.

Zum Hintergrund des Katar-Abenteuers: Nachdem sich das Emirat erfolgreich für die Austragung der Handball-WM 2015 beworben hatte, schaute sich der Verband weltweit nach möglichen personellen Verstärkungen um. In Katar selbst war Handball zu diesem Zeitpunkt absolute Randsportart. Als die Anfrage der Kataris bei ihm eintraf, musste Goran nicht lange überlegen: „Zu diesem Zeitpunkt hatte ich bereits zwei Operationen am Rücken hinter mir und wollte ohnehin deutlich ruhiger machen. In der Bundesliga war das kaum möglich. Da hast du eigentlich jeden Spieltag Stress. Und dann war schnell klar, dass wir in Katar eine gute Mannschaft zusammenbekommen würden, mit vielen guten, erfahrenen Spielern.“

Zarko Markovic, ein Landsmann Stojanovics, stieß vom HSV Hamburg zum Projekt Katar, nahm dafür genauso wie Kollege Goran die katarische Staatsbürgerschaft an. Rafael Capote kam vom spanischen Topteam Logroño, Borja Vidal von HBC Nantes. Trainer wurde Valero Rivera, der 2013 Spanien zum Weltmeister gecoacht hatte. Das Abenteuer nahm also schnell Fahrt auf – und wurde schließlich zu einem echten Handball-Märchen. Die Weltauswahl unter der Flagge Katars marschierte 2015 durch das Turnier, putzte Deutschland im Viertel- und Polen im Halbfinale von der Platte. Im Endspiel gegen den haushohen Favoriten Frankreich war lange alles möglich, musste man sich letztlich knapp mit 22:25 geschlagen geben. Einige Monate später bei Olympia in Rio reichte es immerhin für Rang acht. „Für mich war das eine interessante und natürlich eine sehr spannende Zeit. Ich war das erste Mal bei Olympischen Spielen, habe mit den Jungs zuvor die Asienspiele gewonnen. Viele schöne Erfahrungen kamen da zusammen – und mit Valero Rivera habe ich den besten Trainer meiner kompletten Karriere gehabt“, fasst Stojanovic den ersten Teil des Kapitels Katar zusammen.

Aber es gab auch noch ein zweites. Nach dem Marathon-Programm 2016 schmerzte Goran die mittlerweile 39-jährige Schulter so sehr, dass er sich vom aktiven Handball verabschiedete. 2018 kam dann die Anfrage, ob er für die Asienspiele noch einmal zurückkehren würde. „Ich wollte gerne meine Karriere auf dem Spielfeld und nicht aus Verletzungsgründen beenden. Deshalb habe ich da noch einmal mitgemacht.“ Es sei ihm nicht leichtgefallen, die alten Knochen hätten schon sehr geschmerzt. Aber: Goran biss sich durch – und feierte am Ende mit Katar sein zweites Handball-Gold bei Asienspielen. „Ich habe mit Gold aufgehört: Was kann es Schöneres geben?“, fragt der einstige Weltklasse-Torwart, der seitdem den Handball-Ruhestand genießt. Ein neuerliches Comeback schließt er aus. Das, so Goran Stojanovic, werde es nicht mehr geben.

„Wir haben dem Druck standgehalten“

Historische Löwen, Teil 3: Goran Stojanovic und die Anfänge der goldenen Löwen-Generation. Serie stellt Meilensteine der Klubgeschichte vor.
Goran Stojanovic feiert mit den Kollegen den ersten Titel.

Ob er sich noch gelegentlich an seine Löwen-Zeit erinnert? „Auf jeden Fall“, entgegnet er. Am liebsten denkt er an das Final Four im EHF-Cup 2013 zurück. An den ersten Titel der Rhein-Neckar Löwen. „Das war unglaublich – und alles andere als leicht“, beschreibt Goran Stojanovic die allererste Löwen-Sternstunde. „Im Halbfinale gegen Göppingen haben wir ein perfektes Spiel abgeliefert. Das Finale gegen Nantes, den Gastgeber, lief dann nicht so gut. Da hatten wir nicht unseren besten Tag. Aber wir haben gekämpft. Wir haben dem Druck standgehalten, auch dem von den Fans in der Halle. Wir haben richtig viel investiert in dieses Spiel – und am Ende gewonnen.“ Es war einer von sechs großen Titeln im Handballer-Leben des Goran Stojanovic. Für die Löwen, bei denen damals schon alle dabei waren, die die spätere goldene Löwen-Generation bilden sollten, war es der Anfang ihrer erfolgreichsten Phase. Dass Goran Stojanovic ebenfalls ein Teil davon war, macht ihn noch heute stolz. Zwar habe er keinen besonders intensiven Kontakt mehr in den Rhein-Neckar-Kreis. Die Spiele der Löwen verfolge er aber immer noch sehr aufmerksam, wie überhaupt das Geschehen in der Handball-Bundesliga.

Dass diese immer noch die stärkste Liga der Welt ist, nicht zuletzt wegen der grandiosen Fans, das steht für den Montenegriner unverrückbar fest. Zumal es am Ende der vergangenen Spielzeit eine ziemlich irre Parallele gab zur Saison 2013/14. Dieses Mal wurde die Meisterschaft nicht um zwei, sondern lediglich um einen einzigen Treffer entschieden. Und wieder waren die Löwen und der THW Kiel beteiligt. Dieses Mal im direkten Duell. Hätte Andy Schmid den letzten Wurf im Heimspiel gegen die Zebras versenkt, wäre Flensburg und nicht Kiel Meister geworden. So oder so flossen diesmal die Tränen auf der anderen Seite. Und Goran Stojanovic freute sich beim 25:25 über eine grandiose Leistung seiner Rhein-Neckar Löwen.

Goran Stojanovic:

  • geboren am 24. Februar 1977 in Bar (damals Jugoslawien, heute Montenegro)
  • begann in der Jugend bei Mornar Bar mit dem Handballspielen
  • kam über Roter Stern Belgrad und Grasshopper Zürich 2005 nach Deutschland
  • lief 2005/06 für den VfL Pfullingen und von 2006 bis 2011 für den VfL Gummersbach auf
  • 2011 bis 2014 stand er im Tor der Rhein-Neckar Löwen
  • von 2014 bis 2018 spielte er für die katarische Nationalmannschaft sowie für den al-Jaish SC

Historische Löwen / Löwen-Historie, Teil 1: Maros Kolpak und der Weg vom Dorf- zum Spitzenklub – Rhein-Neckar Löwen – LIQUI MOLY Handball-Bundesliga (rhein-neckar-loewen.de)

Historische Löwen / Löwen-Historie, Teil 2: André Bechtold und die jungen Kronauer Handball-Rebellen – Rhein-Neckar Löwen – LIQUI MOLY Handball-Bundesliga (rhein-neckar-loewen.de)