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Plötzlich ohne Handball: die schwersten Monate im Leben des Mikael Appelgren
Löwen-Torwart unterzog sich insgesamt drei Operationen, verpasste fast die komplette Saison 2020/21 und steht jetzt kurz vor seinem Comeback
Mikael Appelgren sitzt in seiner Wohnung in Heidelberg, er sieht entspannt aus. Die Vorfreude, bald wieder mit den Jungs gemeinsam auf der Platte zu stehen, sie ist deutlich zu spüren. Ein Jahr lang musste er darauf verzichten und damit sowohl ohne seinen Beruf als auch ohne seine Leidenschaft auskommen. „Das ist schwer für den Kopf“, sagt der Löwen-Torwart, den alle, die ihn näher kennen, kurz und knackig Apfel nennen, und der mit insgesamt drei Operationen an Schulter, Knie und Finger die wohl härteste Spielzeit seiner bisherigen Handballer-Laufbahn durchlebt: Plötzlich ohne Handball.
Das Comeback des Apfel, es steht unmittelbar bevor. Die reine Reha liegt in den letzten Zügen, Stück für Stück wird die Belastung im Training gesteigert. Noch in dieser Saison wird der Vollblut-Handballer zurückkehren aufs Spielfeld, auf seine angestammte Position, zwischen die Pfosten des Löwen-Tores. Beim erfolgreichen Gastspiel bei der SG Flensburg-Handewitt saß er schon wieder auf der Bank, stand sogar auf dem Spielberichtsbogen – auch wenn ein Einsatz noch nicht wirklich zur Debatte stand. „Ich bin in ständigem Austausch mit den Ärzten, den Physiotherapeuten, dem Athletiktrainer. Natürlich möchten wir jetzt nichts riskieren und schauen genau, was möglich ist.“
Nach einem Jahr sorgfältigen Wiederaufbaus wäre es unheimlich bitter, würde man mit einem verfrühten Comeback eine neuerliche Verletzung provozieren. Und so übt sich Mikael, der Spaßmacher, derzeit in einer neuen Kunst: Geduld. „Der Kopf sagt nein – das Herz sagt ja“, beschreibt „Äpple“ seine Gefühlswelt, die hin- und hergerissen ist zwischen medizinischer Vernunft und der absoluten Gier nach Handball.
Plötzlich ohne Handball: „Identität ein bisschen verloren“
Im Laufe der vergangenen Monate erlebte der Weltklasse-Keeper immer wieder dieses Gefühl der Zerrissenheit. Ein Gefühl, das er bis dahin überhaupt nicht kannte. „Bis zu dieser Saison war ich ja nie länger verletzt gewesen. Vielleicht habe ich einmal drei Spiele am Stück gefehlt, das war es dann aber auch schon. Meine Identität war bisher immer die eines Handball-Torwarts. Durch die Verletzungen, die daraus folgenden Operationen und die lange Reha habe ich diese Identität ein bisschen verloren“, spricht Mikael Appelgren ganz offen über die wohl schwerste Zeit seiner bisherigen Karriere.
Für einen leidenschaftlichen Mannschaftssportler ist es die Hölle, seinen Kameraden und Freunden auf dem Feld nicht helfen zu können. Spiele und Turniere zu verpassen, für die man sonst vieles zu opfern bereit ist. Eine komplette Bundesliga-Saison, das Final Four der EHF European League zuhause in der SAP Arena, die Weltmeisterschaft im Januar dieses Jahres, bei der seine Kumpels von der schwedischen Nationalmannschaft durch überragende Leistungen die Silbermedaille gewannen: All das hat Apfel nur als Zuschauer erleben können.
„Das war alles nicht so einfach. Vor allem kurz nach der Knie-OP, als ich teilweise sogar im Rollstuhl sitzen musste und sehr viel auf Hilfe angewiesen war, habe ich mir schon meine Gedanken gemacht, auch über den Handball hinaus. Das war eine echte Herausforderung“, erinnert sich der 31-Jährige. Erspart ist ihm immerhin die Sorge geblieben, dass es vorbei sein könnte mit der Profi-Karriere. „Da haben mich die Ärzte zum Glück beruhigen und mir Mut machen können. Natürlich macht man sich trotzdem seine Gedanken, vor allem, wenn es in der Reha mal nicht so läuft, wie man sich das vorstellt.“
Plötzlich ohne Handball: herausgerissen aus der Handball-Bubble
In solchen Momenten habe ihm vor allem seine Familie geholfen, bei der er einen Großteil seiner Genesungszeit verbracht hat. Ohne diese Unterstützung, gesteht der 1,92-Meter-Mann, wäre ihm das Ganze noch viel schwerer gefallen. Was definitiv mehr in den Fokus gerückt ist, ist die Beschäftigung mit der Zukunft. Was macht Mikael Appelgren nach der aktiven Karriere? „Wenn man wie ich so herausgerissen wird aus der „Handball-Bubble“ und auch schon über 30 ist, macht man sich schon so seine Gedanken, was mal sein wird, wenn man nicht mehr auf dem Feld stehen kann. Im Moment ist es so, dass ich sehr gerne im Handball bleiben würde, zum Beispiel als Torwart-Trainer.“
Apfel, der sich seit Jahren in der Spieler-Gewerkschaft engagiert und sich dort unter anderem dafür starkmacht, etwas gegen die immense Belastung der Profis zu unternehmen, hat auch durchaus Gefallen gefunden an der Funktionärsarbeit. Und als Psychologie-Student bringt er noch eine weitere spannende Komponente in sein ohnehin reichhaltiges Portfolio. Eine klare Position mit einer genauso klaren Meinung hat er auf jeden Fall: Die Belastung im Handball ist am Anschlag: „Ich verstehe, dass alle Verbände ihre Spiele austragen wollen, ich verstehe die Sponsoren-Sicht. Aber was genauso klar ist: Mit immer mehr Spielen und den daraus folgenden Verletzungen leidet das Produkt Handball. Und daran kann ja wirklich niemand ein Interesse haben.“
Bevor es damit weitergeht, Mikael Appelgren zum „Gewerkschaftsboss“ wird und sich nur noch um die großen Fragen der Sportart kümmert, hat der ehrgeizige junge Mann ein klares Ziel. Zurück aufs Handballfeld kommen und endlich wieder das machen, was er am liebsten macht: Bälle halten!