Veröffentlichung:

Lehrjahre im Schleudergang: David Szlezak und die Löwen auf dem Weg nach oben

Historische Löwen – Löwen-Historie, Teil fünf: Die Jahre 2005 bis 2008 aus Sicht des „Handball-Mozarts“

Lehrjahre im Schleudergang: David Szlezak und die Löwen auf dem Weg nach oben. Historische Löwen - Löwen-Historie, Teil fünf.
David Szlezak (ganz links) feiert mit den Fans.

Es ist das Jahr 2005. Für David Szlezak, damals 31, hätte es das letzte Jahr als Handball-Profi werden können. „Ich war schon dabei, die Karriere nach der Karriere zu planen“, erinnert sich der gebürtige Wiener. Gerade läuft das vorletzte Vertragsjahr bei HBW Balingen-Weilstetten aus. Ein äußerst erfolgreiches übrigens: In 33 Zweitliga-Spielen erzielt der Rechtsaußen Szlezak 266 Tore, kommt damit auf einen sagenhaften Schnitt von 8 Treffern pro Partie. Eine Wahnsinnsleistung, die für Aufsehen sorgt.

Knapp 150 Kilometer nördlich von Balingen, im ähnlich beschaulichen Kronau, werden die Verantwortlichen der SG Kronau/Östringen hellhörig. Weil der etatmäßige Rechtsaußen Holger Löhr mit schwerer Verletzung länger ausfällt, ist man auf der Suche nach Ersatz. Da drängt sich ein Anruf bei David Szlezak geradezu auf. Der muss nicht lange überlegen. „Für mich war das eine einmalige Chance. Plötzlich konnte ich, am Ende meiner Karriere, noch einmal mit lauter Weltklasse-Leuten in einer Mannschaft spielen. Damit hatte ich ja gar nicht mehr gerechnet.“

Löwen, Balingen und Szlezak werden sich schnell einig. Kurze Zeit später hat der 31-Jährige ein Erweckungserlebnis: „Du spielst quasi dein halbes Leben lang Handball, denkst, du hast das Spiel einigermaßen verstanden. Und dann kommst du nach Kronau, triffst auf Juri Schewzow, einen absoluten Weltklasse-Trainer, und musst erst einmal lernen, dass du überhaupt nichts weißt von Handball.“ Der genauso erfolgreiche wie eigenwillige Handballlehrer nordet den Neuzugang direkt ein: „Mozart“, spricht Schewzow Szlezak in einer der ersten Trainingseinheiten an, „meine Oma läuft schneller als du.“

Ein vernichtendes Urteil für den Rechtsaußen, der die Schnelligkeit als eine seiner größten Stärken sieht. Bis zu diesem Moment. „Das war natürlich hart zu hören“, erinnert sich Szlezak. Den Spitznamen Mozart hat er ganz nebenbei auch noch für den Rest seiner Laufbahn an der Backe. Womit er freilich besser leben kann als mit der Beurteilung seines neuen Trainers. Generell hat der Neuzugang aus Balingen zunächst einen schweren Stand. „In Balingen war ich der Top-Torschütze, hatte zudem 150 Länderspiele für Österreich auf dem Buckel und fühlte mich wie ein gestandener Handball-Profi. Bei der SG Kronau/Östringen spielte ein gewisser Uwe Gensheimer auf dem anderen Flügel. Da war ich dann von heute auf morgen praktisch ein Niemand.“

Lehrjahre im Schleudergang: David Szlezak und die Löwen auf dem Weg nach oben

Vom Trainer aller Illusionen beraubt, in der Gunst der Fans im Schatten des jüngeren und aufstrebenden Teamkollegen: Für David Szlezak geht das Löwen-Engagement nicht gerade optimal los. Im Nachhinein betrachtet, ist es genau das, wovon er mit Blick auf seinen weiteren Werdegang am meisten profitiert. „Es war kein leichter Start und ein wirklich spannender Prozess, den ich da durchlaufen habe. Das hat mich für mein damaliges und mein späteres Leben absolut geprägt und als Person auch verändert“, bilanziert der Mann, der seit September 2016 Geschäftsführer der EHF Marketing GmbH ist und als solcher unter anderem die Ausrichtung des Champions-League-Finalturniers in Köln verantwortet.

Was dich nicht umbringt, macht dich nur stärker: Nach diesem Motto nimmt David Szlezak die Herausforderung bei der SG Kronau/Östringen an. Und meistert sie. In drei Bundesliga-Spielzeiten kommt er auf 84 Einsätze, erzielt 251 Tore und ist fester Bestandteil einer Mannschaft, die sich in diesen drei Jahren ganz hervorragend entwickelt. Es sind die Lehrjahre der SG Kronau/Östringen, die plötzlich mitspielt im Konzert der besten Handballklubs Deutschlands, die in dieser Zeit den Schritt vollzieht von der SG zu den Rhein-Neckar Löwen, aus der badischen Provinz in die Kurpfalz-Metropole Mannheim. Szlezak ist dabei, als der Klub im Sommer 2005 erstmals in der gerade fertiggestellten SAP Arena aufläuft. Ein historischer Moment – für „Mozart“ genauso wie für den ganzen Verein.

Lehrjahre im Schleudergang: David Szlezak und die Löwen auf dem Weg nach oben. Historische Löwen - Löwen-Historie, Teil fünf.
Gute Laune: Löwen im Golfcar vor der Arena, Szlezak links oben.

Beflügelt von dem Schwung der Anfangsjahre und der plötzlich riesigen Kulisse erleben die Gelbhemden einen rasanten sportlichen Aufstieg. In der Saison 2005/06 werden sie als Aufsteiger Sechster, erreichen zudem das Finale um den DHB-Pokal. Mit einem mickrigen Tor müssen sie sich dem haushohen Favoriten und Gastgeber HSV Hamburg geschlagen geben. Die Löwen, damals noch als SG Kronau/Östringen, haben sich endgültig auf der Handball-Landkarte Deutschlands etabliert. Mittendrin: David Szlezak, der trotz dieser Erfolge auch die Kehrseite hautnah miterlebt.

„Wir waren damals beileibe keine Sympathieträger“, erinnert er sich. „Wir wurden als Retorten-Mannschaft verschrien. Das positive Image, das der Klub heute hat, mussten wir uns erst über unser Auftreten und über Leistung hart erarbeiten.“ Zudem befindet sich der Verein damals im Umbruch. Er wächst – und droht dabei seine Wurzeln zu verlieren. „Wir haben damals in fünf verschiedenen Hallen trainiert, da hat man sich schon ein wenig heimatlos gefühlt“, sagt Szlezak. Auch die Mannschaft selbst steckt mitten in einer Komplett-Erneuerung. Wandel als Chance – so betrachten es Szlezak & Co. damals. Und so schaffen sie es dann auch gemeinsam.

„Nach außen haben wir nichts gesagt, aber intern hat Juri klargemacht: Wir wollen uns für den Europapokal qualifizieren.“

„Zu einer echten Einheit sind wir vielleicht auch gerade deshalb geworden, weil so viele von außen erst einmal gegen uns waren, weil wir kein echtes Zuhause hatten und deshalb keine Wahl hatten, als uns einfach an uns selbst zu halten.“ Genauso wichtig wie der Bau des Trainingszentrums in Kronau und der SAP Arena in Mannheim, die bis heute die beiden Fixsterne im Löwen-Universum sind, ist die Person Juri Schewzow. Der Lemgoer Meistermacher, der im selben Transferfenster in den Rhein-Neckar-Kreis kommt wie David Szlezak, bringt nicht nur die größtmögliche Handball-Expertise mit, sondern auch die nötige Portion Ehrgeiz. „Nach außen haben wir nichts gesagt, aber intern hat Juri klargemacht: Wir wollen uns für den Europapokal qualifizieren.“

Durch den Einzug ins DHB-Pokal-Finale sowie Platz sechs in der Liga verschaffen sich die Jungs um Schewzow, Gensheimer und Szlezak nicht nur Respekt, sondern auch die angestrebte Qualifikation für den internationalen Wettbewerb. Es ist die nächste Premiere für den blutjungen Handball-Klub. In der ersten Runde geht es gegen den zyprischen Vertreter SPE Nikosia, gegen den man schon im Hinspiel das Weiterkommen klarmacht durch einen 42:19-Kantersieg. Im Achtelfinale ist das Losglück nicht mehr auf der Seite der SG Kronau/Östringen. Gegen den SC Magdeburg hat man keine Chance, verliert im Hinspiel durch ein 26:39 alle Chancen auf den Viertelfinal-Einzug, feiert im Rückspiel aber immerhin einen 38:34-Achtungserfolg. Es ist im Übrigen das einzige Spiel, das der spätere EHF-Cup-Sieger Magdeburg im laufenden Wettbewerb verlieren wird.

Zusammen mit Platz acht in der Liga und dem erneuten Erreichen des DHB-Pokal-Finals, das die SG wieder als Außenseiter superknapp 31:33 gegen Kiel verliert, ist die Saison 2006/07 der nächste Erfolg in der Vereinsgeschichte. Als Pokalfinalist qualifiziert sich Kronau/Östringen wieder für einen europäischen Wettbewerb, an dem sie dann – nach der Umbenennung im Sommer 2007 – als Rhein-Neckar Löwen teilnimmt. Im Europapokal der Pokalsieger, den es damals noch gibt, stürmt die Truppe bis ins Endspiel, schlägt auf dem Weg dahin Partizan Belgrad, Hammarby IF, den SC Magdeburg und BM Valladolid. Im Finale gegen Veszprem, damals wie heute ein absoluter Spitzenklub in Europa, verlieren sie das Hinspiel 32:37. Bester Torschütze ist ein gewisser Marko Vujin, der einige Jahre später zur THW-Kiel-Legende werden wird.

Im Rückspiel, das am 10. Mai 2008 in der ausverkauften SAP Arena steigt, werfen die Löwen alles in die Waagschale, kämpfen bis zum Umfallen und trotzen dem haushohen Favoriten ein mehr als achtbares 28:28 ab. Im Tor steht das Weltklasse-Duo Szmal / Fritz, erfolgreichster Schütze ist Uwe Gensheimer mit sieben Treffern. Und dennoch: Das dritte verlorene Finale in drei Jahren tut richtig weh und ist ein bitterer Abschluss für einen, der allein mit dem Erreichen dieser Endspiele niemals gerechnet hätte: „Für mich war das eine schier unglaubliche Reise“, sagt David Szlezak im Rückblick auf die Jahre 2005 bis 2008. Was danach kommt, sollte allerdings nicht minder unglaublich werden.

Lehrjahre im Schleudergang: David Szlezak und die Löwen auf dem Weg nach oben

Lehrjahre im Schleudergang: David Szlezak und die Löwen auf dem Weg nach oben. Historische Löwen - Löwen-Historie, Teil fünf.
David Szlezak mit Silbermedaille unten rechts neben Uwe Gensheimer.

Nach dem Gastspiel in Berlin kurz vor Saisonende – die Löwen schließen die HBL mit Platz vier und dem bis dahin besten Ergebnis der Vereinsgeschichte ab – steigt der Löwen-Tross in den Flieger. Mit dabei: Manager Thorsten Storm. Der nimmt sich den jetzt 34-jährigen Szlezak zur Seite. „Thorsten hat es ganz direkt formuliert und gesagt: ,David, du kriegst keinen neuen Vertrag bei den Löwen. Aber ich biete dir einen Job auf der Geschäftsstelle an.‘“ Somit steht der immer noch junge Mann ein weiteres Mal am Scheideweg: „Das war schon ein krasser Moment. Vier, fünf Wochen lang habe ich überlegt und mich dann entschieden.“ Und zwar für das Angebot von Storm. Dabei spielt es auch eine Rolle, dass Szlezak schon immer zweigleisig fährt, eine Ausbildung samt Studium zum Wirtschaftsinformatiker absolviert, nie ganz allein auf die Karte Profi-Handball setzt.

Das kommt ihm nun beim Berufseinstieg zugute. In den beiden Jahren auf der Löwen-Geschäftsstelle von 2008 bis 2010 macht er so etwas wie einen Crashkurs in Sachen Marketing. Bei den Löwen steigt Investor Jesper Nielsen mit seiner Edel-Marke Pandora ein. David Szlezak ist an der Umsetzung beteiligt. Eine hochspannende Zeit, die später zwar kein gutes Ende nehmen wird aus Löwen-Sicht, für den Berufseinsteiger Szlezak aber einen regelrechten Glücksfall darstellt. „Das war damals so etwas wie eine Gründerzeit im Kleinen. Generell im Handball, aber dann noch einmal ganz speziell bei den Rhein-Neckar Löwen.“

Mindestens genauso spannend verläuft der Seitenwechsel vom Handball-Profi zum Geschäftsstellenmitarbeiter. „Zum einen war der Gehaltsunterschied immens, daran musste ich mich erst einmal gewöhnen. Zum anderen war ich plötzlich in der Position, den ehemaligen Mitspielern zu erklären, warum Marketing-Termine wichtig sind, was unsere Arbeit für den Klub bedeutet und so weiter.“ Für viele Spieler sind genau diese Termine außerhalb des Handballfeldes eine Qual. Und das lassen sie ihren Ex-Kollegen spüren. „Da habe ich mich dann eines Tages in die Kabine gestellt und auf eine Tafel gezeichnet, wie sich die Gehälter zusammensetzen.“

Die Szlezak-Methode funktioniert. Die Spieler verstehen: Nur mit zahlungskräftigen und vor allem auch zufriedenen Sponsoren kommt Geld aufs Konto. In den zwei Jahren Marketing und Vertrieb der Löwen legt der Österreicher den Grundstein für die weitere Karriere, die ihn dann schließlich zurück in die Heimat führt. „Die Handball-Welt ist klein, da kennt jeder jeden. Und so kam ich dann irgendwann mit der EHF in Berührung“, erzählt David Szlezak. Seinen Vorgänger in der Marketing GmbH der Europäischen Handball-Föderation kennt er persönlich aus gemeinsamen Jugend-Handball-Zeiten. Auch mit EHF-Chef Michael Wiederer ist er bekannt. Ausgerechnet bei einem Löwen-Golf-Turnier kommt er mit seinem späteren Vorgesetzten ins Gespräch. Der Rest ist, wie man so schön gesagt, Geschichte.

Lehrjahre im Schleudergang: David Szlezak und die Löwen auf dem Weg nach oben

2010 richtet die EHF zum ersten Mal das Final Four der Champions League in Köln aus. Es ist das Premiumprodukt im europäischen Vereinshandball – und es soll eine echte Marke, ein Aushängeschild für den Verband werden. Chefverantwortlicher dafür: David Szlezak. Wie damals erst sportlich und dann im Marketing bei den Löwen springt der Wiener ins kalte Wasser – und lernt von heute auf morgen schwimmen. „Im Verband gab es keinerlei Vorkenntnisse. Ich war mit meinem Team völlig allein und habe in kürzester Zeit unfassbar viel gelernt“, erinnert sich David Szlezak, der am zweiten Juni-Wochenende dieses Jahres in Köln bereits sein 15. Final Four betreut – einmal mehr mit dem Sieger FC Barcelona, und mittlerweile exakt jenes Highlight im Terminkalender, das die EHF daraus machen wollte.

Aus den aufregenden Anfangszeiten ist mittlerweile eine gewisse Routine geworden. Doch die Erinnerungen an damals sind nach wie vor frisch. Genauso wie die an die Löwen: „Die fünf Jahre hier haben mich in vielerlei Hinsicht geprägt“, sagt David Szlezak heute. Einmal im Jahr besucht er seinen alten Klub in der SAP Arena. Zu Uwe Gensheimer und Andy Schmid, gegen den er einst in der Jugend-Nationalmannschaft gespielt hat, pflegt er regelmäßigen Kontakt. Die Abschiede der beiden Löwen-Legenden lassen den Ex-Löwen nicht kalt. „Ich bin sehr glücklich, zu vielen meiner Mitspieler bei den Löwen noch heute gute Verbindungen zu haben.“

Den sportlichen Weg der Löwen verfolgt er aufmerksam. Ein Wiedersehen gibt es zuletzt Ende Mai bei den EHF Finals in Hamburg, wo die Löwen mit Szlezaks ehemaligem Gespann-Partner Patrick Groetzki als Kapitän Platz drei belegen. David Szlezak kann sich noch gut erinnern, als ihn Marc Nagel, damals Trainer in Pforzheim und ehemaliger Mitspieler aus gemeinsamen Göppinger Zeiten, am Telefon unterrichtet: „Da kommt ein Junge von mir zu euch ins Training, bitte pass auf den auf.“ Der Junge, der im Sommer 2007 zum ersten Mal zu den Löwen kommt, ist ebendieser Patrick Groetzki. Schöne, kleine Handball-Welt.

Lehrjahre im Schleudergang: David Szlezak und die Löwen auf dem Weg nach oben. Historische Löwen - Löwen-Historie, Teil fünf.
Große Enttäuschung: David Szlezak unter einem Handtuch.

Zur Person: David Szlezak

  • am 19. April 1974 geboren in Wien
  • 1996 Debüt in der österreichischen Nationalmannschaft
  • wechselt 1999 nach Deutschland zum HC Erlangen
  • landet 2005 nach Stationen in Göppingen und Balingen in Kronau
  • seit 2010 bei der EHF Marketing GmbH, seit 2016 als Geschäftsführer

Zur Serie: Historische Löwen – Löwen-Historie